Tobias Scherbarth bei seiner Abschiedsgala gefeiert
Vize-Weltmeister Piotr Lisek hat das Domspringen in Aachen für sich entschieden. Vor rund 5.000 Zuschauern schob sich der Stabhochspringer über 5,90 Meter. Tobias Scherbarth war als Vierter bester DLV-Akteur. Der 33-Jährige bestritt seinen letzten Wettkampf und wurde von 5.000 Zuschauern und zahlreichen langjährigen Wegbegleitern frenetisch gefeiert.
Piotr Lisek hatte in Aachen jederzeit den Stab fest im Griff und sowohl die Mitbewerber als auch das begeistert mitgehende Publikum unter Kontrolle. Buchstäblich beflügelt hievte sich der polnische Rekordler im ersten Durchgang über 5,90 Meter. Lediglich bei 5,50 Meter hatte sich der vorjährige Hallen-Europameister und Vize-Weltmeister einen Fehlversuch geleistet. 5,95 Meter waren diesmal zu hoch.
Weltmeister Sam Kendricks (USA) pokerte, nachdem er 5,80 Meter im ersten Versuch gerissen hatte. Doch auch seine beiden Sprünge bei 5,95 Meter wollten nicht gelingen. Unter dem Strich blieben dem Vorjahressieger 5,70 Meter und Platz zwei. Shawn Barber (Kanada), der Weltmeister von 2015, erkämpfte imaginäres Bronze. Bei seinem zweiten Wettkampf innerhalb von 24 Stunden bewältigte er 5,60 Meter.
Emotionaler Abschied für Tobias Scherbarth
Frenetisch gefeiert wurde Tobias Scherbarth (TSV Bayer 04 Leverkusen), der seinen letzten Wettkampf bestritt und Vierter wurde. Der dreimalige Deutsche Meister holte bis 5,40 Meter alle Höhen im ersten Durchgang, haderte aber bei 5,50 Meter mit Einstich und Absprung. „Die Nähe zu den Zuschauern und die einmalige Atmosphäre, das spürt man in Aachen bei jedem Schritt Richtung Latte“, erklärte der Schützling von Leszek Klima, warum er sich die Traditionsveranstaltung in der Kaiserstadt für seinen Abschied ausgesucht hatte.
„Als Athlet wird man von der Euphorie getragen, ähnlich einem Rausch springt man über die Höhen“, umschrieb der 33-Jährige - mit den Tränen kämpfend - die besondere Atmosphäre und „unbeschreibliche Stimmung“ der Veranstaltung. Zahlreiche langjährige Wegbegleiter, darunter Björn Otto, Rens Blom, Lars Börgeling und Michael Stolle wünschten Tobias Scherbarth nach seinem letzten Sprung per Handschlag alles Gute.
Nach dem Abi von Leipzig nach Leverkusen
Tobias Scherbarth begann seine sportliche Laufbahn beim SC DHfK Leipzig und wechselte 2000 zum LAZ Leipzig. Nach dem Abitur siedelte er 2005 nach Leverkusen über. „Ich wollte Stabhochspringer werden, das war für mich ganz klar. Ich war in der Jugend kein wirklicher Springer, hatte eine Bestleistung von 4,80 Meter“, blickt der 33-Jährige zurück. „Ich wollte unbedingt bei Leszek Klima trainieren. Es eilte ihm der Ruf voraus, dass er ein toller und erfolgreicher Trainer ist. Und dann natürlich die Rahmenbedingungen in Leverkusen, die Infrastruktur, das ist perfekt.“
Zwischenzeitlich hat sich Tobias Scherbarth in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona bei Dan Pfaff – wie er es nennt – Inputs geholt. „Dan Pfaff ist ein renommierter Trainer mit zahlreichen Erfolgen, vor allen Dingen mit älteren und verletzungsanfälligen Athleten. Ein Beispiel ist Donovan Bailey, den er mit über 30 zum Olympiasieg geführt hat. Oder Greg Rutherford, der sich vorher oft in der Qualifikation einer Weltmeisterschaft oder bei Olympischen Spielen verletzt hat. Ihn hat er auch zum Olympiasieger gemacht. International ist bekannt: Der Mann hat ein Händchen für sensible Athleten“, sagt Tobias Scherbarth.
"Das war alles in Absprache mit Leszek Klima und von ihm unterstützt. Er war auch interessiert, was ich an Trainingsplänen und Know-how mitgebracht habe“, hebt er den Stellenwert seines Mentors hervor, dessen persönliche Bestleistung bei 5,40 Metern liegt. Sein größter Erfolg: Platz vier bei den Hallen-Europameisterschaften 1977 – erreicht unter polnischer Flagge.
Bestleistung: 5,76 Meter
Tobias Scherbarth überflog im Februar 2009 in der Halle 5,76 Meter. Unter freiem Himmel überquerte er 2016 5,75 Meter. Immer wieder musste der 1,95 Meter große Modellathlet herbe Rückschläge hinnehmen. Schon für die WM 2009 in Berlin nominiert, zog er sich bei der Universiade in Belgrad (Serbien) einen Bruch des Mittelfußes zu – das Aus für den Weltmeisterschafts-Auftritt vor heimischer Kulisse. Ein erneuter Fußbruch mit einem Bänderriss verhinderte 2010 den Start bei den Europameisterschaften in Barcelona (Spanien).
Doch aufgeben? Niemals. Tobias Scherbarth kämpfte sich zurück, holte 2014 in Ulm seinen ersten deutschen Meistertitel, belegte 2015 nach seinem Deutschen Hallen-Meistertitel bei der WM in Peking (China) Platz sieben und wurde 2016 in Kassel erneut Deutscher Meister. Damit machte der Absolvent der Deutschen Sporthochschule Köln die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien) klar – ein Traum wurde wahr.
Insgesamt trug Tobias Scherbarth bei internationalen Einsätzen über 20 Mal das Nationaltrikot. Seine letzten Wettkämpfe für den Deutschen Leichtathletik-Verband hatte er im Herbst letzten Jahres bei „Berlin fliegt“ sowie bei „Fly Europe“ in Paris (Frankeich) und Rom (Italien).
„Ich bleibe der Leichtathletik treu!“
„Ich bleibe der Leichtathletik treu, ob als Trainer, Manager oder Meeting-Organisator ist allerdings noch offen“, erklärt Tobias Scherbarth. Sicher ist, dass er Ende September in Kienbaum die A-Trainer-Ausbildung beginnen wird. „Ich bin Diplom-Sportwissenschaftler und habe einen Master in Sport-Management, also in mehreren Richtungen gut aufgestellt. Auf der einen Seite ist der Trainerberuf gut vorstellbar, auf der anderen Seite eine Tätigkeit im Sport-Management“, sagt der Ex-Stabhochspringer.
Sein langjähriger Klubkollege Hendrik Gruber hat ebenfalls sein Karriereende bekanntgegeben. Der 31-Jährige, der eine Bestleistung von 5,75 Metern vorweisen kann, war im vergangenen Jahr bei den Team-Europameisterschaften im französischen Lille Mitglied der siegreichen deutschen Mannschaft. Noch für das LAZ Soest aktiv, schaffte er es 2005 in Kaunas (Litauen) ins Finale der U20-EM. Inzwischen arbeitet er als Sportlehrer an einer Grundschule in Leverkusen-Opladen.